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das kulturelle überformat
Nr. 19 / 10. November 2008
#Sadie Jones
  5/8
literatur
Sadie Jones

sehr von den Fünfzigern angezogen, aber irgendwann muss ich wohl das Jahrzehnt wechseln, um Wiederholungen zu vermeiden.

A propos männliche Perspektive: In «The Outcast» gibt es Szenen der Selbstverletzung. Das ist ein Thema, das üblicherweise eher mit Mädchen in Verbindung gebracht wird.

Ich hatte einfach ein instinktives Gefühl, dass Lewis ein Selbstverletzer sein könnte. Die allgemeine Annahme ist immer, dass Mädchen und Frauen das öfter tun. Aber ein Mann, der lange in einem Jugendgefängnis arbeitete, erzählte mir, dass die Rate von Selbstverletzungen unter Jungs enorm hoch war. Während die Mädchen ihre Narben beinahe mit Stolz getragen und sich damit als Opfer dargestellt hätten, hätten sich die Burschen dafür geschämt und sie geheim gehalten. Andererseits ist ja wohl auch eine Gefängnistätowierung in Wahrheit nur eine getarnte Selbstverletzung.

In England ist es ja immer noch ein Tabu, bei Jungen öffentlich über psychische oder persönliche Probleme zu sprechen. Das gilt als Gefühlsduselei.

Wir haben Angst vor unseren jungen Männern. Wenn Mädchen über die Stränge schlagen, im Teenageralter schwanger werden oder sich besaufen, gibt es immer die frauenfeindliche

Reaktion, sie mit Verachtung zu strafen. Jungen sehen wir dagegen als diese finsteren Typen in den Kapuzensweatern, die sich gegenseitig abstechen. Dabei wissen wir, dass sie die Gruppe mit der bei weitem höchsten Selbstmordrate sind. Wir haben keine Ahnung, was wir mit ihnen anstellen sollen. Wir haben keinen Platz für sie und keine Rolle. Und um das sollte es auch in meinem Buch gehen. Die Fünfziger boten sich als eine gute Periode an, solche Diskussionen anzureissen, denn da begannen sich die jungen Männer und Frauen neu zu definieren. Lewis ist verloren in dieser Gesellschaft. Gott sei Dank werden ihm die Sechziger zu Hilfe kommen.

Wissen Sie denn, was später mit ihm passieren wird? Werden er und seine Partnerin in den Sechzigern ein befreites Leben führen?


Aber ja! Das ist mein Plan. Ich weiss genau, was mit den beiden passiert. Während des Schreibens hörte ich im Radio «Paint It Black» von den Stones – ein fantastischer Song. Und ich dachte: «Oh mein Gott, Lewis würde das lieben.» Aber natürlich hätte er diese Nummer in den Fünfzigern noch nicht hören können. Ich sehe, wie seiner Welt die Farbe fehlt, und wie er vor diesem eigenartigen Konstrukt einer Erwachsenenwelt steht, der er sich einfügen soll. Er weiss nicht einmal, dass er ein Teenager ist, er glaubt bloss, er wäre ein versagender Erwachsener.