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das kulturelle überformat
Nr. 19 / 10. November 2008
#Michele Alassio
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kunst
Michele Alassio

TheTitle traf den Italiener im Rahmen seiner Ausstellung in der Barry Friedman Gallery in New York, um über die Fotografie, die Kunst und seine künstlerische Haltung zu sprechen.

Michele Alassio, wir sind hier umgeben von dreizehn beeindruckenden Fotografien, deren Kraft man sich als Betrachter kaum entziehen kann. Unter welchen Umständen ist diese Serie, die Sie nach dem Neurologen und Bestsellerautor Oliver Sacks benannt haben, entstanden?


1995 litt ich stark unter Migräne. Ein bis zwei Stunden täglich hatte ich enorme, fast nicht zu ertragende Schmerzen. Oliver Sacks beschreibt die verschiedenen Formen dieser Krankheit in seinem Buch «Migräne» sehr genau. Währenddem in meiner näheren Umgebung keiner wirklich begriff, unter was ich litt. Kein Arzt, kein Spital, konnte mir helfen. Ich selbst fand dann durch dieses Buch heraus, um was es sich bei meinen Schmerzen handelte und wie ich Herr über diese Schmerzen werden konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt fand ich die Fotografie als Kunstform nicht sehr interessant. Aber sie ermöglichte es mir auf eine ganz bestimmte Weise, den erfahrenen Schmerz visuell umsetzen zu können. Als Mittel zur Abbildung der Realität ist für mich die Fotografie völlig wertlos. Sie hat für mich keinen Wert. Realität zu übertragen macht für mich keinen Sinn und ist nicht Teil der Kunst. Fotografie gibt in erster

Linie vor, die Realität umzusetzen, die zum Zeitpunkt der Aufnahme vorhanden war. Ich bin nicht interessiert daran, ein Bild herzustellen, von etwas, das in Wirklichkeit bereits ein Bild besitzt. Ich versuche mit Hilfe der Fotografie Bilder zu erschaffen von Dingen, die nicht sichtbar sind, die nicht von Natur aus bereits ein Abbild besitzen. Für mich tötet die herkömmliche Fotografie das wirkliche Bild. Ein Foto von der 42. Strasse hier in New York macht für mich absolut keinen Sinn. Die grundlegenden Emotionen eines Menschen interessieren mich, die will ich visuell umsetzen.

Also sind in gewisser Weise Ihre Bilder näher an einer Wirklichkeit, als jene, die vorgeben, die Wirklichkeit abzubilden.


Exakt. Die herkömmliche Fotografie erreicht nur jenen Betrachter, der bereits auf eine Art und Weise eine Beziehung zum Gezeigten besitzt. Ein weiteres Problem der herkömmlichen Fotografie: sie sitzt im temporären Gefängnis. Meine Bilder besitzen weder eine Zeit noch einen Ort, sie werden im Prinzip erst im Betrachter vollendet. Um diese Art von Bilder herzustellen, benutze ich gewisse Referenzpunkte, Techniken und für den Herstellungsverlauf auch eine Art Drehbuch, um zum Resultat gelangen zu können, das ich dem Betrachter präsentieren will. Als Neurologe muss sich Sacks auch mit etwas auseinandersetzen, das unsichtbar ist.