Aus: «Wachtmeister Studer im Tessin»
Zeichnungen Hannes Binder
© Limmatverlag Zürich

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das kulturelle überformat
Nr. 17 / 5. September 2008
#Hannes Binder
  3/14
comic
Hannes Binder

noch in den frühen sechziger Jahren von der Loggia aus unsere Tessiner Nachbarn beobachten, wie sie in ihrem Rustico lebten, das unten Stall und oben Wohnung war. Gewaschen hat man sich draussen am einzigen Wasserhahn, den es gab. Man verfolgte dieses ‹romantisch-einfache› Leben des Tessiners sozusagen live. Und fragte sich nie, wie denn der Tessiner selbst sein Leben sah – nämlich als ‹Fam›, ‹Frecc›, ‹Füm›, als Hunger, Kälte und Rauch. Die begriffen überhaupt nicht, wieso wir in einem Rustico Ferien machten, denn sie wollten aus dieser ‹Romantik› raus und rein in den Luxus, den wir genossen. Sobald die Tessiner später zu Geld kamen, verloren sie ihre schönen, einfachen Herzen und man lernte einen ganz anderen Tessiner kennen.»

Lange Zeit jedoch glaubte man an diese Tessiner Idylle, was in der Familie Binder unter anderem dazu führte, dass Hannes’ Vater Walter Binder den Roman «Die Reise nach Ostende» des ebenfalls im Tessin ansässigen Schriftstellerpaares Lisa Tetzner und Kurt Held («Die Schwarzen Brüder») mit realistischen und zart-linearen Illustrationen schmückte. Das Buch handelt von Tessiner Auswanderern, die aus Heimweh alles daran setzen, ins Tessin zurückkehren zu können.

Man trug also eine Idealisierung des Tessin mit sich herum, ähnlich wie Anfangs des 20. Jahrhunderts jene eigenartigen Philosophen, Dichter und Naturisten auf dem Monte Verità bei Ascona. «Was die dort taten, hatte nichts mit dem realen Leben jenseits ihres Umfeldes zu tun. Bei Wanderungen schauten wir immer wieder dort hinüber und konstatierten, da habe der und die gewohnt. Das hat mich immer extrem