Dienstagabend, 4. April 2000. Ankunft in Montreal. Diesig. Am nächsten Tag frühlingshaft schön und warm. Kurz darauf beginnt es zu regnen und am Samstagabend giesst es wolkenbruchartig. Den Kopf eingezogen, schlendere ich die Rue St. Denis hoch, die als Hauptstrasse pfeilgerade durch die Mitte der Stadt von Süden nach Norden führt. Wie eine nasse Katze komme ich bei der Comiczeichnerin Julie Doucet an. Am Küchentisch in ihrer Parterrewohnung zeigt mir Julie neue Arbeiten. Irgendwann steht sie auf und wirft einen Blick in den Hinterhof: Es hat geschneit! Diese Nacht werden in Montreal siebenunddreissig Zentimeter Neuschnee fallen – ein historischer Rekord für die Jahreszeit. Kanada, lachen meine neuen Bekannten in der Comicszene, wolle mir offenbar in der Zeitspanne von ein paar Tagen alle seine Wetterfacetten präsentieren.
Montreal gehört zu den angenehmsten Städten der Welt. Très charmant und ein guter, hedonistischer Groove. Schöne Frauen, frankophone Kultur. So sehr frankophon, wie ich mir das vorher nie vorgestellt hätte. Manchmal auch dämlich frankophon: Läden müssen zum Beispiel – so wars jedenfalls im Jahr 2000 – in ganz Quebec französische Bezeichnungen tragen. Es ist verboten, den «charcutier» mit «butcher» anzuschreiben. «We don’t like that», ärgert sich eine ältere Dame aus Ontario, mit der ich später in Toronto beim Hotelfrühstück über das heikle Verhältnis zwischen Quebec und dem Rest des Landes diskutiere. Ich habe während meines ganzen Kanada-Aufenthaltes nicht ein einziges längeres Gespräch geführt, in welchem dieses Problem nicht erörtert worden wäre.