zu dem, was er für die breite Öffentlichkeit bis heute ist – ein Fernsehstar und Showmaster, der die Literatur einem Millionenpublikum näher gebracht hat.
In seinem Leben vor 1958 gibt es indes auch dunkle Flecken, Lebensabschnitte, über die Marcel Reich Ranicki nicht gerne spricht: seine polnischen Jahre. Im Ghetto wird der Abiturient Marceli Reich, wie er bis 1947 heisst, unter 400’000 Menschen zum Chefdolmetscher der Ghetto-Verwaltung bestimmt; die gesamte Korrespondenz des so genannten «Judenrats» mit den deutschen Behörden geht durch sein Büro. Zudem schreibt er für die von der Nazi-Propaganda gegründete «Jüdische Zeitung» Musikkritiken. Nach dem Krieg, im kommunistischen Polen, macht er Karriere im stalinistischen Sicherheitsapparat: Er tritt der Partei bei, lässt seinen Namen auf Anordnung von oben in Marceli Ranicki ändern (das klingt polnischer) und wird mit 28 Jahren Konsul und Geheimdienstresident in London. Ob er auch als Spitzel tätig ist, ist nicht bekannt. Der Journalist Gerhard Gnauck, der ein Buch über Reich-Ranickis polnische Jahre geschrieben hat, durchforstete die Archive akribisch – Hinweise fand er jedoch keine.
Die Karriere von Konsul Ranicki dauert nicht lange: Er wird 1949 abgesetzt und ein Jahr später wegen «ideologischer Entfremdung» aus der Partei ausgeschlossen. Die Übersetzertätigkeit im Ghetto und seine jüdische Herkunft sind laut Gnauck mit ein Grund dafür. Als Reich-Ranickis Geheimdiensttätigkeit in den 1990er Jahren öffentlich bekannt wird, geht er in die Offensive; er bangt um seinen guten Ruf, seine