Anzeige
das kulturelle überformat
Nr. 32 / 10. August 2010
#Interview mit Philippe Auclair, Fussballphilosoph
  8/13
360°
Interview mit Philippe Auclair, Fussballphilosoph

Liebe zum englischen Fussball war immer da, und selbst als ich mein Lied über Eusebio schrieb, schrieb ich über Eusebio bei der Weltmeisterschaft 1966 in England. Alles hatte mit England zu tun. Ich war auch einer der Initianten für die erste Compilation-Reihe über Fussball überhaupt, die «Bend It»-Serie auf Cherry Red Records. Jim Phelan, ein echter Manchester United-Fan, war der Mann, der das zusammen mit Mike Alway ausheckte. Wir sprechen hier von einer Zeit, als der englische Fussball auf dem Boden lag. Fussball war nicht etwas, mit dem man sich beschäftigte, wenn man eine Freundin haben wollte. Mike und Jim waren echte Pioniere, weil sie als erste verstanden, dass es etwas an unserem Verhältnis zum Fussball gab, das ins mythisches Reich der Fantasien gehört. Das versteht heutzutage jeder. Aber damals war das anders. Ich selbst war verliebt in den englischen Fussball, ohne zu verstehen warum. Das kam erst später, als ich darüber schrieb und begann, mir Fragen zu stellen. Und die Fragen meiner Frau zu beantworten: Warum sollte ich, ein französischer Intellektueller, mich für diesen Sport der Barbaren begeistern?

Und was war Ihre Antwort darauf?


Zuerst einfach, dass ich eben das Spektakel liebe. Aber abgesehen davon wurde mir bald klar, dass das Schreiben über Fussball genauso wie das Schreiben über Musik

funktioniert, weil man dabei über weit mehr schreiben kann als den Fussball selbst. Man kann sehr viel in die Handlung von 22 Männern hineinlesen, die einem Lederball nachlaufen. Auf spontane und leidenschaftliche, aber auch sehr analytische Art. Dieses Spiel ist aussergewöhnlich komplex und eignet sich zu endlosen Ergründungen, aber auch zur Errichtung von Kapellen, Glaubensrichtungen und Weltanschauungen. Ich war sehr überrascht, als ich zum ersten Mal in einer englischen Pressekabine stand. Die Leute da waren von einem völlig anderen Schlag als in Frankreich. Ein hoher Anteil von ihnen hatte in Oxford oder Cambridge studiert, Englisch, Philosophie oder Physik. Und dann hatten sie sich ausgerechnet dem Fussballjournalismus verschrieben. Ich fand, dass ich mit diesen Leuten wesentlich mehr gemeinsam hatte als mit den Musikjournalisten. Seit den Neunzigern und den Nullerjahren schreibt eine neue Generation über Fussball auf eine Art, wie man vorher nur über Musik oder Architektur oder sonstige ernsthafte Themen geschrieben hätte, die es verdienen, kultiviert und artikuliert behandelt zu werden. Es gibt sowas wie eine alternative Fussballschreiberszene, und ich bin ein Teil davon. Nicht weil ich wo dazu gehören wollte, sondern weil wir dieses Bedürfnis teilen, über die historischen und die soziologischen Aspekte zu schreiben, beinahe wissenschaftliche Studien zur Taktik, aber auch poetische Texte zu verfassen. Die Engländer