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das kulturelle überformat
Nr. 32 / 10. August 2010
#Interview mit Philippe Auclair, Fussballphilosoph
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360°
Interview mit Philippe Auclair, Fussballphilosoph

(Anmerkung: An dieser Stelle läutet Auclairs Telefon. Es ist ein französischer Radiosender, dem Auclair eine spontane, stotterfrei flüssige Analyse der Eigentumsverhältnisse der britischen Fussballvereine liefert, bevor er Blackpools Sieg in den Play-Offs der – heutzutage Championship genannten – zweiten englischen Liga analysiert. Während der Fragen seines Gegenübers nimmt er jeweils einen Schluck aus seinem Rotweinglas und entschuldigt sich bei gestikulierend für die Unterbrechung)

Später studierten Sie dann Philosophie und vertieften sich in die Musik. Das ist die Zeit im Leben, wo sich die meisten Leute vom Fussball distanzieren.

Besonders in Frankreich. Obwohl Albert Camus ein Tormann war und Jacques Derrida ein Fussballprofi werden wollte. Das waren Dinge, die – um es gelinde auszudrücken – nicht viel publiziert wurden. Ich ging auf die Ecole Normale Superieure, das ist die Eliteschule für Philosophen. Wir hatten unser eigenes Fussballteam, aber wir verbargen das vor unseren Universitätsfreunden.

Spulen wir vor zu der Zeit, als Sie bereits in England lebten, und der Fussball wieder in Ihr Leben trat.

Der Damaskus-Moment war, als ich zum ersten Mal ins Highbury-Stadion ging. Ich war in Frankreich zu Rouen gegangen und zu Paris

St Germain ins Prinzenparkstadion, aber ich hatte gehört, dass in England alles anders sei. Eines Tages pilgerte ich also nach Highbury. Arsenal spielte ein Derby gegen Tottenham. Damals kam man mit der Piccadilly Line in der Arsenal-Underground-Station an. Es war ein langer Weg hinauf zur Strasse, und noch bevor man beim Ausgang ankam, konnte man schon den unglaublichen Klang der Menge hören. Alle Haare auf meinen Unterarmen standen zu Berge. Mir wurde klar: Wer Fussball nicht versteht, kann England nicht verstehen. Das ist wirklich so.

Und dann wurden Sie aus purem Zufall ein Fussballreporter.

Ja, im Jahr 1999 ging ich eines Tages den Strand hinunter in Richtung Charing Cross. Ich wollte noch im Wellington ein Bier trinken, das war ein Pub nahe des Hauptquartiers des BBC World Service, wo ich damals als Musikjournalist arbeitete. Ich lief einem belgischen Kollegen über den Weg und lud ihn auf einen Drink ein. Er sagte mir, dass das grösste französische Fussballmagazin France Football ihn kontaktiert hatte. Sie suchten einen Korrespondenten in London, weil der englische Fussball wieder in Mode gekommen war. Er sagte: «Ich gehe zurück nach Brüssel, ich kann das nicht machen. Hättest du Lust darauf?» Ich sagte: «Darauf kannst du wetten! Ich habe dieses Magazin gelesen, seit ich sechs oder sieben war. Ich habe es gestohlen,