Anzeige
das kulturelle überformat
Nr. 32 / 10. August 2010
#Interview mit Philippe Auclair, Fussballphilosoph
  10/13
360°
Interview mit Philippe Auclair, Fussballphilosoph

Boulevardblättern. Darüber hinaus gibt es einen Nukleus von fünfzig bis sechzig Schreibern in diesem Land, die Bücher von einer erstaunlichen Qualität schreiben, und das schafft einerseits eine Dynamik unter uns Schreibern, andererseits auch ein vorbereitetes Publikum. Momentan stehe ich bei etwa 35’000 verkauften Exemplaren. Für ein Buch dieser Art ist das ziemlich erstaunlich, weil es nicht nur eine schlichte Biographie ist, sondern auch eine Sammlung von Essays enthält, die viele Leser für prätenziös halten könnten.

Haben Sie einen Eindruck davon, wer ihre Leser sind und was sie davon halten?

Ja. Als ich im Trafford Commerical Centre in Manchester eine Signierstunde abgehalten habe (was in etwa so ist, als würde man sich in den örtlichen Aldi setzen), bekam ich nichts als äusserst intelligente Kommentare zu hören. Fussball erlaubt den Leuten nachzudenken. Das klingt anmassend, aber in meinem Buch geht es auch um Xenophobie, um das Exil, um Fussball als Kunst, um den beruflichen Selbstmord eines Fussballers. Solche Themen würde man im Sportteil der Daily Mail sicher nicht unterbringen. Aber wenn man das in einem Buch schreibt, und wenn man dann diese Manchester United-Fans, die alle aus der Working Class kommen, persönlich trifft und mit ihnen darüber spricht, sieht man, dass es keinen Grund für die vorgeblich dem Publikum

zuliebe betriebene Banalisierung der Berichterstattung gibt. Die wissen ganz genau, wovon man schreibt. Sie investieren so viel in den Fussball. Das war eines der Probleme, die ich mit Jacques Derrida hatte. Er war einer meiner Lehrer an der Ecole Normale Superieure. Er wollte ein professioneller Fussballer werden. Das war etwas, das niemand an die grosse Glocke hing. Aber er schrieb immerhin ein paar Sachen über Fussball. Er erklärte, dass das, was ihn daran fasziniere, sei seine Abstraktion. Alles passiert innerhalb klar markierter Grenzen, zwischen diesen 22 Menschen, unter Einhaltung strenger Regeln. Das faszinierte ihn. Zurecht. Aber er meinte auch, dass im Fussball nichts jenseits der Spielfeldmarkierungen existiere. Wenn man das von einer englischen Perspektive her betrachtet, denkt man das genaue Gegenteil. Alles passiert jenseits des Spielfeldrands, nämlich auf den Rängen.

Und haben Sie ihn damals darauf angesprochen?

Leider nein, aber mit anderen Fussballschreibern kann ich mich endlos über solche Sachen unterhalten. Auf andere wirken unsere Gespräche sicher sehr prätenziös. Erst vorgestern ging ich in der Fleet Street auf eine Pub-Tour mit meinem Freund Jonathan Wilson, dem Autor von «Inverting The Pyramid», der ersten Geschichte der Taktik im Fussball, ein grossartiges Buch. Mit dabei waren ein Mann,