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Jenseits von Zeit und Raum
Es wäre schön behaupten zu können, ich wüsste genau, wann ich «Kind Of Blue» zum ersten Mal gehört habe. Es wäre aber auch verlogen, weil ich Miles Davis’ Musik trotz vielen frühen Kontakten lange nicht verstanden oder goutiert habe. Dafür weiss ich noch genau, in welcher Lebensphase sein Jazz-Klassiker aus dem Jahre 1959 für mich wichtig wurde.
Anfang der 1980er-Jahre schickte es sich unter jungen Musikfans, den Namen des grossen Trompeters, Bandleaders und Komponisten in den Mund zu nehmen, also überspielte ich «Kind Of Blue» von der LP meiner Eltern auf Musikkassette und nahm diese mir noch fremde Musik mit an die Uni. Dort wurden «So What», «Freddie Freeloader», «Blue In Green», «All Blues» und «Flamenco Sketches» zum Soundtrack meiner Mansardeneinsamkeit, denn ich war noch zu schüchtern, um leicht Freundschaften schliessen zu können: «Kind Of Blue» war für mich die vertonte Wiedergabe meiner selbstverursachten Isolation.
Die Mitglieder des Miles Davis Sextett – allen voran der Chef – improvisierten so prickelnd reduziert um einander herum, dass sie weite Räume zwischen sich aufzureissen schienen. Auch bot der modale Kompositionsstil, den Miles für «Kind of Blue» gewählt hatte, dem Zuhörer kaum harmonischen Fusshalt.