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das kulturelle überformat
Nr. 25 / 22. Juni 2009
#wiedergehört: Miles Davis, «Kind Of Blue» (1959)
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musik
wiedergehört: Miles Davis, «Kind Of Blue» (1959)

Sogar die sonst so tröstliche Rückkehr zum Grundakkord wirkte wie ein Übergang zu etwas Neuem. Diese Uferlosigkeit gab «Kind Of Blue» einen futuristischen Anstrich: wenn manche Kritiker in diesem Album den Grundstein der Ambient-Musik oder einen Vorgeschmack auf den kargen Funk eines James Brown sehen, dann hat das etwas.

Der Minimalismus macht «Kind Of Blue» aber weder kalt noch abweisend: in Bill Evans’ zaghaftem Klavierspiel (bei «Freddie Freeloader» sitzt Wynton Kelly an den Tasten) steckt eine vorsichtige Sinnlichkeit; beim Versuch, die Limiten der wenigen Harmoniewechsel auszuloten, führen die Saxophonisten John Coltrane und Cannonball Adderley ein regelrechtes Liebesspiel vor; und die Rhythmusgruppe mit Paul Chambers (Bass) und Jimmy Cobb (Drums) glänzt durch ihr kitzelndes Understatement. Miles’ Trompete ist der silbrige Leitfaden in diesem weitmaschigen Notengeflecht und gibt den Stücken Struktur, ohne sie in ein Korsett zu zwingen.

So viel Platz war in dieser Musik vorhanden, dass «Kind Of Blue» für mich zum Einstieg in den Jazz wurde. Da war nichts von der dämonischen Aggressivität des Be-Bop, der störenden Süsslichkeit des Vocal Jazz oder der berauschten Egozentrik des Fusion. «Kind Of Blue» war ein in sich geschlossenes Stimmungsbild jenseits von Zeit und Raum, eine Einladung in ein fremdes Universum von Harmonien und Klangfarben, eine Startrampe zu neuen Sternen und auch selber eine exotische Destination.