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das kulturelle überformat
Nr. 25 / 22. Juni 2009
#Kolumne von Hanspeter Künzler, London
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gedankengang
Kolumne von Hanspeter Künzler, London

Nein, irgendwie hat man den Eindruck, Brown hätte ganz England an Weihnachten in ein romantisches Schneegewand hüllen und jedem Bürger einen Morris Mini und eine Portion Fish & Chips auftischen können, und er würde immer noch als knausriger Sauertopf gelten. Anyway, Gordon Brown soll also in Trouble sein und mit ihm das ganze Land, das diktiert die Logik: der Premier führt das Land. Wenn es dem Land schlecht geht, geht es auch ihm schlecht, weil dem Premier im englischen quasi monotheistischen Polit-System sogleich die ganze Schuld an allem in die Schuhe geschoben wird. Ergo, so würde man meinen, wäre im Pub der Absturz von Grossbritannien und damit der Abschuss von Brown Diskussionsthema Nummer eins, denn der Pub wäre jetzt gefüllt mit Leuten, die – ganz wie die restliche Nation – aus dem letzten Loch pfeifen und ihre Sorgen mit Bier zu vertreiben versuchen. Nicht die Bohne!

Aus Gründen, auf die ich vielleicht ein anderes Mal zu sprechen komme, habe ich in den letzten Wochen ziemlich viel Zeit im Pub verbracht. Und – Hand aufs Herz – nicht ein einziges Mal ist das Thema Politik aufs Tapet gebracht worden. Das war in den 1980er Jahren noch ganz anders. Da war die Politik in jedem Pub so ziemlich Gesprächs-, Streit- und Schlägereithema Nummer eins, knapp vor Fussball und Frauen. Ich erinnere mich gut daran, wie ein wildgewordener Engländer – eine befreundete Sozialarbeiterin hatte eine dubiose Vorliebe für Schlägertypen – im Pub den Tisch auf den Kopf stellte, weil jemand die Meinung geäussert hatte, dass England ohne die Gastarbeiter aus Irland eine Infrastruktur hätte wie eine Bananenrepublik in der Dritten Welt. Es wogte damals die Diskussion über die streikenden Bergwerkarbeiter im Norden: Margaret Thatcher erachtete den politischen Kampf gegen die Gewerkschaften als ersten und wichtigsten Schritt in Richtung Einführung einer freien Marktwirtschaft à la USA. Die Bergwerkarbeiter kämpften in dem Sinn für die Rechte all jener, die