Da liegt es nun vor einem: mattschwarz oder braun, kartoniert, broschiert oder in Leder gebunden. Ein neues Tagebuch – vorzugsweise aus Florenz – noch besser: handgemacht und nicht billig. Das Papier aus einer Qualität, die der Tinte standhalten kann und mit der Kratzbürstigkeit der Feder auch bei schnell hingeschriebenen Wörtern umgehen kann. Ja, da liegt es nun vor einem und man wagt kaum, es einfach so beiläufig zu benutzen. Die Form, die Verarbeitung, die ausgestrahlte Würde verlangt nach ebenso würdigen Wörtern. Nach Sätzen voller Bedeutung, Tragkraft und Nachhaltigkeit. Ist man überhaupt von einer solchen Wichtigkeit, dass sich das eigene Leben, die eigenen Erfahrungen, die individuellen Gedanken für eine Verewigung qualifizieren?
Tagebücher hatten manchmal auch Schlösser. Sie vermochten zwar einen Eindringling in die eigenen Gedanken nicht daran zu hindern, einfach mal kräftig dran zu reissen, aber sie symbolisierten dem Finder der meist sorgsam verborgenen Bekenntnisse: lass die Finger davon! Bis hier und nicht weiter!
Das Schreiben hat sich verändert. Nicht zwingenderweise der Schreibstil. Die einen könnens, die anderen weniger. Aber die Unmittelbarkeit – die Zeit, die zwischen Gedanke, Formulierung und Niederschrift verstrich, hat sich rapide verkürzt. Für unsere Vorfahren, die noch in Höhlen hausten, war das Kratzen eines einzigen Symbols Tageswerk. Und selbst für jene virtuosen Schreiber, die behende mit Feder und Tintenfass umzugehen wussten, bedeutete das wiederkehrende Eintauchen ihres Werkzeugs, erzwungenermassen inne halten.