ziehen 1968 in ein Bauernhaus auf dem Land. Auf dem Hof arbeiten drei Knechte und einer davon, der ein aggressives Rockergehabe an den Tag legt, erzählt den Kindern, wie sein Vater die schwangere Mutter solange in den Bauch getreten habe, bis sie den Embryo verlor. Den freien Kindern wird durch weniger privilegierte Zeitgenossen der gruselige Blick in menschliche Abgründe gestattet, in welche sie selbst wohl nie fallen würden.
Unbefangen und offen erzählt Anna Sommer von den liberalen Erfahrungen und Entdeckungen ihrer Kindheit und Pubertät, von ersten Boyfriends, Küssen, sanftem Kokettieren mit Homoerotik und kindlichem Ausprobieren des Beischlafs. Anna Sommer, als Person eher zurückhaltend, vertraut sich gerne dem Papier an und irgendwie arbeitet sie auch immer enttabuisierend. «Das könnte man tatsächlich als ein Anliegen von mir betrachten, ich stelle die Dinge gerne so offen dar, wie das andere Leute nicht wagen würden», sinniert die Zeichnerin über ihre Motivation. Ganz selten schwappt der neue Band auch mal ins «Psychologisierende», mit dessen neurotischer Öde uns andere Zeichner und vor allem Zeichnerinnen seit Jahren bemühen. Bei Anna Sommer münden Alpträume jedoch stets in erlösenden Aberwitz, so etwa in der Episode «Feuchte Träume», wo die herunterrinnende und schliesslich knöcheltief im Klo sich aufstauende Scheisse getrocknet und zu Backsteinen verarbeitet wird.
Anna Sommer selbst betrachtet «Die Wahrheit und andere Erfindungen» als eine Zwischenstufe in ihrem Comicschaffen. Den provozierenden Titel könnte man notabene im Sinne der buddhistischen Yogacara-Ausrichtung verstehen, welche jede Wahrnehmung, also auch die sogenannte «Wahrheit» als Ideation und Illusion einstuft. Zu dieser spielerischen Interpretation würde denn auch eine der längsten Geschichten passen: Anna unternimmt mit ihrem Freund Yves kurz nach der Wende eine Reise nach Polen. Während Yves weiterreist, fährt Anna zurück und stellt