Anzeige
das kulturelle überformat
Nr. 21 / 9. Februar 2009
#Interview mit Robyn Hitchcock
  4/9
musik
Interview mit Robyn Hitchcock

weiss, ob es wirklich so gewesen ist, oder ob die Erinnerung ein Eigenleben entwickelt hat. Erinnerungen reifen im Kopf. Ihre Resonanz breitet sich aus und verändert wiederum die Erinnerung. Guter Wein soll ja auch zwanzig Jahre liegen, sagt man jedenfalls. Aber wenn man zu lang wartet, schmeckt er plötzlich ganz schrecklich.

Solche Erlebnisse habe ich recht häufig, wenn ich in der Schweiz bin und Leute treffe, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Oft stellt es sich heraus, dass wir gemeinsame Momente ganz anders in Erinnerung haben. Ganz im Sinne von Sigmund Freud. Die Erinnerung arbeitet im Dienste deiner emotionellen Interessen.

Das stellten auch die Beatles fest, als sie wieder zusammen kamen, um die «Anthology» zusammenzustellen. Sie konnten sich nicht einigen, was passiert war. Man sagt ja auch, Menschen sterben zwei Mal. Das erste Mal, wenn sie körperlich sterben, das zweite Mal, wenn der letzte Mensch stirbt, der sich an sie erinnert. Eines Tages wird es niemand mehr geben, der weiss, wer Virginia Woolf war. Niemand, der das Englisch versteht, das Shakespeare benutzte, und damit wird seine Arbeit dahinfallen. Der Mensch lebt und stirbt, seine Kultur aber nicht. Sie mutiert. Eine gewisse Kultur kann umgebracht werden, aber irgendwie wird sie zurückkommen. Aber so lange es Bücher gibt und Bilder, die irgendwo

eingraviert sind, bleibt die Erinnerung bestehen. Deswegen ist es mir so wichtig, dass all meine alten Platten weiterhin auch auf Vinyl gepresst werden. Denn Vinyl wird von all diesen Klangträgern am längsten überdauern.

Ist das ein Grund, dass Sie Songs schreiben wie Ringe im Stamm...


Oder wie die Rillen in der Schallplatte.

...damit man sich an Sie erinnert?

Sicher. Eine der Antriebskräfte eines Künstlers ist der Wunsch, dass man sich an ihn erinnert. Andererseits ist eine der Funktionen der Kunst die, dass man der Zukunft sagt: schau mal, hier waren wir, so war das für uns, so haben wir uns gefühlt. Egal, ob es eine Verzerrung ist oder eine Übertreibung, auch das ist eine Erinnerung. Es ist wie in den Filmen, wenn jemand ins Gefängnis kommt und an den Wänden all die Namen sieht, die seine Vorgänger in die Mauer gekratzt haben. Das ist es, was Künstler machen – sie kratzen ihren Namen in die Mauer. Das ist der Grund dafür, warum wir unsere Arbeit machen müssen. Deswegen habe ich auch immer geglaubt, dass quasi der wahre Absatzmarkt für meine Lieder die Zukunft ist. Dass es heute Menschen gibt, die an meine Konzerte kommen und die Alben kaufen, ist natürlich schön, das erlaubt mir auch, weiter zu machen. Ich habe aber immer gewollt, dass meine Musik mich