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das kulturelle überformat
Nr. 11 / 5. Februar 2008
#Porträt
  4/5
dossier: Stephen King
Porträt

Gefecht», sowohl in der langen als auch in seiner schlanken, nur achthundertseitigen Version.

Über Jahre stritt ich für King: mit Ignoranten und Intelligenzlern, den beiden Muttergruppen des Trottels. Ich entwickelte Argumentationen für beide Gruppen. Ich las weiter King, um noch mehr Beweise für die Qualität seiner Bücher zu haben. Als ich beim «Letzten Gefecht» ankam, wusste ich endgültig, warum ich seinen Autor so liebte. Er bediente einen gierigen polytoxikomanen Literaturkonsumenten in mir, der Erlebnisse am meisten schätzt, wenn sie ihn süchtig machen. Und dies schaffte King, weil jedes seiner Bücher eigentlich viele Bücher in sich trug. Fast jede seiner Figuren erhielt eine eigene glaubwürdige Perspektive. Auf Handflächen, die wenige Absätze maßen, servierte er mir alle paar Seiten neue Empfindens- und Erlebniswelten, die ich fühlte und verstand, obgleich ich ihr Land, die längst vertraute Fremde, noch immer nicht betreten hatte.

Kings Figuren stimmten und stimmen für mich, ihr Blick ist wahr, und nichts macht mich glücklicher bei Prosa als ein solcher Blick. Früher empfahl ich Interessenten als Einstiegsbuch «Brennen muss Salem», Stephen Kings uramerikanische Bram-Stoker-Variation. Heute rate ich meistens zu «The Stand»: Stephen Kings «Letztes Gefecht», dieses postapokalyptische «Argument» zwischen Gut und Böse, irgendwie die «Divina Commedia» des Mannes aus Maine, beginnt in Texas, wie so viele Western, wenn auch zu einer Zeit, in der die ersten Taschenrechnerfabriken schon wieder in Konkurs gingen, achtziger Jahre, Zeit der Haie und Barrakudas. King (der damals als erster Autor der Welt an der Börse notiert) leidet mit den Losern, in deren ureigenem Kaff, Arnette, Texas, das Opus magnum beginnt. Von hier ausgehend, wird eine heimtückische Epidemie, deren Viren natürlich in den Labors der US-Regierung gezüchtet wurden, das Land fast gänzlich entvölkern. King wiederholt die Sintflut mit unsichtbarem Niederschlag. Doch während mit Noah stets Zwei und Zwei an Bord gingen, bleiben in «The Stand» zwei mal 20’000 über: 20’000 Gute, ebenso viele