Anzeige
das kulturelle überformat
Nr. 9 / 6. November 2007
#David Albahari
  2/4
literatur
David Albahari

«Das Unwissen der Unwissenden übertrifft das Wissen der Wissenden.»
aus «Die Ohrfeige»
Irgendwie verhält sich das Ganze wie in der Chaostheorie beschrieben: ein Flügelschlag eines Schmetterlings auf der anderen Seite des Globus und dessen Auswirkungen auf die Geschehnisse unseres Lebens. Der Alltag lässt keine Zeit, uns auf die kleinen Dinge zu konzentrieren, die jeden Tag, jede Minute irgendwo am Rande unserer Existenz passieren. Hätten wir sie bemerkt, wie wohl würde unser Leben anders verlaufen sein? Oder ist alles Schicksal? Erkennen wir die notwendigen Dinge, um uns fortlaufend neu zu positionieren? Oder ignorieren wir sie mit Absicht? Nur um die festgefahrenen Bahnen nicht verlassen zu müssen?

In David Albaharis Roman erzählt einer von einer Handlung, von der er – so scheint es zumindest für ihn – völlig zufällig Augenzeuge wird. Der Ich-Erzähler, der in Belgrad mehr schlecht als recht als wöchentlicher Kolumnist einer Zeitung sein Brot verdient, spaziert eines schönen Sonntages im März am Ufer der Donau entlang. Dort erblickt er ein Paar am Wasser. Aus der stummen Distanz erkennt er bloss, dass der junge Mann der jungen Frau eine Ohrfeige verabreicht. Und dass ein Dritter, ein Unbekannter in einem schwarzen Mantel, etwas abseits ebenfalls Zeuge des Vorfalls wird. Die dritte Person verschwindet wie sie aufgetaucht ist: unbemerkt. Die junge Frau ergreift die Flucht vor ihrem Peiniger, der Ich-Erzähler folgt ihr, doch ihre Spur verliert sich in Zemun, dem ehemaligen jüdischen Stadtteil von Belgrad.