Nachrichten aus der grossen Geisterstadt Wien (1)
Ich lebe in einer grossen und prächtigen Geisterstadt, sie heisst Wien.
Ich lebe seit vierzig Jahren hier, das bedeutet in Geisterstädten gar nichts. Ich bin sozusagen gerade erst angekommen. Vierzig Jahre sind nichts in Geisterstädten, und schon gar nichts in kaiserlichen Geisterstädten, wie dies hier eine ist. Die Kaiser regieren nicht mehr, nominell ist dies hier ein tadellos demokratisches Gemeinwesen, aber das ändert nichts. Die Imperatoren sind mitten unter uns. Halbdurchsichtig gehen sie um, der Erste Leopold, der barocke Träger einer ungeheuren Frisur, der Zweite Joseph, der Aufklärung und Absolutismus verheiratete, und der Lieblingskaiser der Touristen mit seinem verwirrten Backenbart, Franz Joseph.
Dabei wurde versucht, den Spuk zu verhindern: um unsere Kaiser vom allzu grossen Herumgeistern abzuhalten, hat man sie jahrhundertelang auseinandergenommen und die Teile in verschiedenen Grüften bestattet, den Leib in der Kapuzinergruft, das Herz in der Herzgruft unter der Augustinerkirche, die inneren Organe in den Katakomben unter dem Stephansdom.
Doch hilft dies alles nichts. Die Kaiser, ihre schwindsüchtigen oder fettleibigen Frauen, ihre Kinder, sie geistern ebenso herum, wie die anderen Gespenster (deren sterbliche Reste man im Ganzen bestattet hat), die Dichter und Arbeiter, die Erfinder und Gemischtwarenhändler, die Professoren und die Kriminellen. Wir Lebenden schieben uns durch das Geistergetümmel und versuchen so etwas wie urbanes Leben aufrechtzuerhalten, aber es gelingt uns nicht immer. Oft halten uns die Aussenstehenden selbst für Untote, was man ihnen bei diesem unübersichtlichen Treiben