Os Gêmeos

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das kulturelle überformat
Nr. 15 / 5. Juni 2008
#Street Art
  9/10
kunst
Street Art

gefordert hatte. Derweil die Obrigkeiten – und oft auch das Publikum – am Anfang keinen Unterschied machten zwischen den grundverschiedenen Künsten des «Tagging» und der «Street Art» in der Tradition von Basquiat und Haring, bewegten sich letztere bald in Richtung Kunstgalerien und öffentlich tolerierter Fassadenverschönerung. Die Vertreter des Old Skool-Tagging beobachteten diese Entwicklung mit Empörung. Für diese Puristen stellte jeder künstlerische Anspruch eine Verwässerung, ja einen Verrat gegen die Reinheit des Konzeptes dar. Es gehörte ausserdem zur Ehre, dass man für die Proteste der breiten Bevölkerung gegen die «Veschandelung» durch Tags nur Verachtung übrig hatte – Street Artisten, die für ihre Werke von der gleichen Öffentlichkeit sogar noch gelobt wurden, galten als Weichlinge, die gewillt waren, ihre Seele dem Feind zu verkaufen («art fags» war ein häufig gehörtes Schimpfwort in der Szene).

Den zufälligen Passanten interessieren die Grabenkämpfe von solchen Puristen wenig. Was allerdings gar nicht heissen soll, dass die ausführliche Behandlung, welche Lewisohn in seinem Buch diesen Unterscheidungen zukommen lässt, keine interessante Lektüre abgäbe, ganz im Gegenteil: es gelingt ihm hervorragend, plausibel die Gründe für die Existenz des Tagging darzustellen – eines Phänomens, dessen Freuden für einen Aussenstehenden nur mit grösster Mühe zu erfassen sind. Besonders vergnüglich wird die Lektüre des Buches allerdings dann, wenn es spezifisch um Street Art geht. Der reich und bunt bebilderte, dazu mit vielen Interviews mit Sprayern, Fotografen und anderen Szenenteilnehmer bestückte Text zeigt auf, wie vielfältig, grenzenlos und subtil die