Auch in «Blue» der Zeichnerin Kiriko Nananan erfährt man Erhellendes über das heutige Japan. Manches in der japanischen Gesellschaft und Kultur wurde nach Ende des zweiten Weltkrieges westlichen Gepflogenheiten angeglichen. Prägende Traditionen jedoch blieben erhalten und vieles funktioniert immer noch anders als im Westen. Zum Beispiel das Schulsystem. Japanische Kinder stehen unter wesentlich höherem Leistungsdruck als westliche Kids, und zwar schon im Kindergarten. Danach folgen sechs Grund- und drei Mittelschuljahre sowie eine ebenfalls dreijährige Oberschule, worauf eine Aufnahmeprüfung für die Universität ansteht. Wer aus diesem Drill rauskippt, hat schlechte Karten für eine ansprechende künftige Laufbahn. Die Schulen sind oft ganztäglich und vielerorts werden Uniformen getragen.Und schon befinden wir uns mitten im Geschehen von «Blue» und zwar im Klassenzimmer einer Oberschule. Kirishima Kayako verfertigt eben eine Zeichnung der Rückenansicht ihrer Mitschülerin Endo Masami. Kirishima und Endo stehen kurz vor ihren Abschlussprüfungen. Die äussere Handlung von «Blue» ist schnell erzählt: Endo und Kirishima verlieben sich ineinander. Die Gefühle der beiden entwickeln sich sachte, Frau tastet sich sozusagen schlafwandlerisch an Frau heran. In sparsamen Dialogen sowie in ebenso schlichten Zeichnungen inszeniert die Autorin Kiriko Nananan diese aufblühende Liebe leicht und luftig. Die zarten Bande, die hier nie durch Sex, sondern lediglich etwa durch sich ineinander verschlingende Hände angedeutet werden, knüpfen sich vor dem zunehmend stressigen Examen immer fester aber auch immer aussichtsloser, denn am Ende trennt das pragmatische Leben die jungen Frauen.