Das Debütalbum von Polly Jean Harvey (*1969) erschien zeitgleich mit dem Erstling von Tori Amos in der ersten Hälfte des Jahres 1992. Wenn die Musik der beiden Frauen auch vollkommen anders klang, so verband sie doch eine gewisse Geistesverwandtschaft. Beide Frauen hatten einen Weg gefunden, in ihren Liedern mit schonungsloser Offenheit über Sexualität und Emotionen zu sprechen, und zwar ohne jeden Anflug von Selbstmitleid oder introvertierter Weltfluchtssentimentalität, wie sie so viele singende Songschreiber früherer Generationen unterdessen ungeniessbar macht.
Während sich aber Amos an den Rahmen eines konventionellen Major-Labels hielt und erst die Texte und einige melodische Schwenker andeuteten, wie innovativ sie wirklich war, fand Harvey ihre Stimme in der Indie-Szene um den Falcon Pub im Londoner Camden Town. Hier hatte sich eine verwegene Gruppe von Künstlern verschanzt, die sich weder dem Diktat von Rave noch demjenigen von Grunge unterwerfen wollten. The Falcon war damals eine der wenigen Oasen in London, wo noch die Abenteuerlust der New Wave regierte – und dort hatte es kein Platz für Nostalgie, höchstens für Geschichtsbewusstsein. Das Panorama derer, die sich hier zum Flirt-, Billiard- und Gitarrenspiel einfanden, reichte von den Alex Chilton-Fans Teenage Fan Club über die Indie-Hardrocker Headcleaner, Milk und God Machine bis hin zu den Neo-Krautrockern Stereolab und Th’ Faith Healers.