Wenn David B im umfangreichen Opus magnum «Die Heilige Krankheit» von seiner Jugend erzählt, dann schleppt er uns durch Höllen, Gemetzel und Alpträume. Schuld an dieser turbulenten Biographie ist vor allem der Bruder des 47-jährigen französischen Comicschöpfers, der von Kind auf an Epilepsie leidet. Die Therapietrips der Familie – die Eltern gehören zur Generation der 68er – führen von Geistheilern über Gurus bis zu den Anthroposophen, David B veranstaltet mit den Halluzinationen seines Bruders und seinen eigenen Phantasien ein zeichnerisch dekoratives Delirium.
Ganz anders die Jugend des 31-jährigen Amerikaners Craig Thompson, von welcher dieser optisch stilisiert-realistisch in seinem Band «Blankets» berichtet: der Ärmste wächst in einer US-Sekten-Familie auf und schildert uns seinen Weg in die Freiheit, die aber stets irgendwie vom Schatten des Kreuzes verdüstert bleibt. Die 1965 geborene Kanadierin Julie Doucet wiederum lässt uns geraume Zeit an ihrem New Yorker Spätpunk-Dasein zwischen zerbeulten Bierdosen, freakigen Liebhabern und Strömen von Menstruationsblut teilhaben, während die Exil-Iranerin Marjane Satrapi mit den zwei «Persepolis»-Bänden, in welchen sie ihre fundamentalistisch-islamische Jugend schildert, sich international Aufmerksamkeit verschafft. Fazit: Autobiographische Bekenntnisse von Comicschaffenden sind angesagt.
Diesem Reigen hat sich auch die Schweizerin Anna Sommer angeschlossen. Es mangelt ihr nicht etwa an Phantasie zu erfundenen Geschichten, denn sie gehört zu den cleversten Fabuliererinnen der progressiven Comicszene. Mit «Die Wahrheit und andere Erfindungen» indes macht sie sich ganz bewusst an eine für ihr bisheriges Oeuvre ungewöhnlich umfangreiche Selbstbetrachtung und betritt damit neues Terrain. Bekannt geworden ist Anna Sommer mit stummen Geschichten. «Damen Dramen» von 1996 darf bereits als Klassiker gelten, der Band