Man nennt sie «Vermischte Meldungen». Oder «Nachrichten in Kürze». Die kleinen Hinweise auf Geschehnisse, die aus den verschiedensten Gründen nicht zu einer grossen Zeitungsstory gereichen. Genau dort aber, findet der 1961 in Pittsburgh geborene Stewart O’Nan seine Inspiration. «Alle, alle lieben dich» heisst sein 12. Roman, dessen Originaltitel allerdings trefflicher «Songs for the Missing» lautet.
Im mittleren Westen, genauer in Kingsville, Ohio, ist ein Mädchen spurlos verschwunden. Das ist der Ausgangspunkt der Geschichte. Nun geschieht für Leser, die nach einem Thriller dürsten, in der Folge fast gar nichts mehr in dem Buch. O’Nan nimmt sich den Hinterbliebenen an, genauer deren Beziehungen zueinander und zum Opfer; und taucht tief ein in das Innenlebenden jener, die vom Verschwinden des Mädchens betroffen sind.
Kim, für die es der schönste Sommer ihres Lebens hätte werden sollen, weil die High School zu Ende war und man in den USA die Zeit, bevor man ins College fährt, noch einmal tüchtig geniessen will, arbeitet nachts in einer Tankstelle. Vor der Arbeit trifft sie sich am Fluss mit Freunden, nachdem sie ihrer jüngeren Schwester Lindsay Fahrunterricht gegeben hat. Sie hat einen Freund, J.P., mit dem die Eltern Fran und Ed nicht ganz glücklich sind. Die Schwestern sind wie Hund und Katz zueinander, weil die Jüngere eine Zahnspange tragen muss und die Ältere die Schönere von beiden ist. Ed Larsen ist in der Immobilienbranche tätig, die langsam aber sicher vor der nächsten grossen Krise steht und Fran arbeitet in einem Krankenhaus. Kurz: eine Familie, wie sie in millionenfacher Ausführung in den USA existiert. Die Normalität in Perfektion, die bei O’Nan schon nach wenigen Seiten, am Ende des ersten Kapitels, jäh zu Ende geht. Kim war abends nicht zur Arbeit erschienen, das Bett in ihrem Zimmer war unbenutzt. Es war ein Morgen wie jeder andere, mit dem Unterschied, dass die Larsens