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das kulturelle überformat
Nr. 4 / 26. April 2007
#Surreal Things – Surrealism and Design
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kunst
Surreal Things – Surrealism and Design

Frühere Generationen haben sich, wenn sie sich melancholisch stimmen wollten, vor einen Herbstbaum gesetzt und den Blättern zugeschaut, wie sie vom Wind, dem Wind, dem himmlischen Kind, ihrer Zukunft als Kompostpartikel entgegengetragen wurden. Wir begeben uns in solchen Stimmungen aufs Klo, schalten den iPod auf Nick Drake und blättern durch die Lifestyle-Illustrierten, die sich seit dem letzten Frühlingsreinemachen angesammelt haben. Randvoll von knalliger Werbung sind sie, die ihre Ideen allesamt bei den Surrealisten ausgeborgt haben. Gestern eine geballte Ladung «Wow!», heute quasi kalter Kaffee. Gibt es einen traurigeren Anblick in der modernen Welt? So viel Einfallskraft verpufft für nichts! Well, nicht ganz für nichts: verpufft, um uns mittels frühlingshafter Prägnanz eines unerwarteten Images dazu zu verlocken, ein Produkt anzuschaffen, dessen Dasein wenig später vom rasant rotierenden Jahreszeitenzyklus industrieller Produktionszwänge dahingerafft wird. Der Blick in die Lifestyle-Illustrierte von gestern ist nichts anderes als die moderne Version eines Spazierganges im Herbstwald.

Die Surrealisten hätten sich amüsiert ob dieser Reflektion natürlicher Vorgänge in den Mechanismen der zeitgenössischen Marktwirtschaft. Schliesslich gehörte es zu ihren bevorzugten Techniken, Gegenstände der Natur, oder wenigstens deren Formen, in neue Umgebungen zu versetzen und dadurch zum Kunstwerk zu machen. Es hätte Surrealisten gegeben, die sich erfreut ins Fäustchen gelacht hätten beim Anblick der Werbung im 21. Jahrhundert. Mehrere Grundtechniken der Surrealisten – das Kombinieren scheinbar unvereinbarer Gegenstände zu einem frappanten Neuen oder das Blossstellen sexueller Konnotationen von Alltagsobjekten – gehören heute zu den wichtigsten Werkzeugen der Werbung. Wo wäre etwa der Renault Mégane, wenn kein schlauer Werber den Einfall gehabt hätte, den TV-Jingle mit dem Groove-Armada-Tanzbodenknüller «I See You Baby» (shaking that ass!) zu unterlegen? Indem man ganz nach den